Deutscher Geschichtsverein des Posener Landes e.v.

Auswirkungen für die deutschen Bewohner in der Provinz Posen nach dem Versailler Friedensvertrag

Die Tatsache, dass wir im Jahre 1920 endgültig dem Staat Polen angegliedert wurden, brachte viele Veränderungen für die damalige deutsche Minderheit in der Provinz Posen mit sich. Die deutsche Verwaltung wurde ausgewechselt und das Personal in den Behörden verließ diese Orte. Betriebe, die ihre wirtschaftliche Grundlage durch Abwanderung der Kunden verloren, wanderten ebenfalls in das Altreich ab. Die Nichtgewährung der polnischen Staatsbürgerschaft der nach dem 01.01.1908 in die Provinz Posen und Westpreußen zugezogenen Deutschen war ein weiterer Grund, dass entstehende Polen zu verlassen. Das waren nur einige Beispiele.

Die deutsche Volkszählung von 1910 zählte in den abgetretenen Gebieten Posen und Westpreußen 1.100.372 Deutsche. Hierbei sind die zweisprachigen Bewohner nicht mitgezählt. Nach der im Jahre 1926 durchgeführten privaten Volkszählung von der Zentralgeschäftsstelle der deutschen Abgeordneten und Senatoren war die deutsche Bevölkerungszahl auf 341.505 gesunken. Da in einigen Gebieten eine Zählung erschwert oder nicht möglich war, wurde dieser Bereich geschätzt, so dass die deutsche Einwohnerzahl auf 370.000 erhöht wurde. Somit ist die Abwanderung deutscher Bewohner von 1910 bis 1926 auf 730.000 Seelen zu beziffern.

Der Rückgang in Westpreußen (Pommerellen) betrug 72,2 %, der Reg. Bezirk Posen hatte einen Verlust von 67,9 % und der Reg. Bezirk Bromberg wies mit 66 % die geringste Abwanderung auf.

Ein Problem-Beispiel: Die Ansiedler der „Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen“ (AK). Die meisten Siedler waren grundbuchlich nicht voll abgesichert. Nur die, die ihre Ansiedlung bezahlt hatten. Als erste waren die Ansiedler betroffen, die nach dem 01.01.1908 im Bereich der Ansiedlungskommission (AK) gesiedelt haben. Sie konnten keine polnischen Staatsbürger werden. Sie gaben als erste auf und verließen das wiederentstandene Polen.  Ansiedler, die auf Grund der politischen Verhältnisse verunsichert über die Zukunft waren, folgten ihnen.

Die AK hat in ihrer Tätigkeit von 1886 bis 1918 Landkäufe von 446.750 ha getätigt. Davon aus polnischem Besitz 126 676 ha und aus deutschem Besitz 334.207 ha. Das 1908 erlassene Enteignungsgesetz zu Ungunsten schlecht bewirtschaftete polnische Betriebe, wurde 4 Mal angewendet und hierbei 1.655 ha enteignet und bezahlt. Von den Gesamtflächen lagen 1918 in den abgetretenen Gebieten 439.337 ha.  In der späteren Grenzmark Posen-Westpreußen 18.201 ha. In Danzig 3.345 ha.

Zur Besiedlung auf diesen Flächen hat die AK Entwässerungsgräben und Wege angelegt, öffentliche Gebäude (u.a. Schulen) und Kirchen gebaut. Die von der AK angelegten Dörfer erhielten auch Schulland und für die Realgemeinde Landzulagen. Insgesamt hat die AK 21.784 Siedlerstellen angelegt, davon waren 19.608 Renten- und 2.176 Pachtstellen (Rentenstellen = Abzahlung und anschließend Eigentum). Gewesen sind im Abtretungsgebiet 21.161 und in der Grenzmark Posen-Westpreußen 623 Ansiedlungen.

Interessant sind die Herkunftsorte der Ansiedler. Aus der Provinz Posen und Westpreußen kamen 5.764 = 26 %, aus dem sonstigen deutschen Provinzen 10.558 = 48,5 % und aus dem Ausland 5.462 = 25 %. Zum „Ausland“ gehörte auch russisch Polen mit Kongreßpolen , Galizien und Wolhynien.

Konfessionell waren die Ansiedlungen mit 21.114 evangelischen und mit 670 katholischen Ansiedlern (Familien) besetzt.

Im Jahre 1914 gab es im Reg.-Bezirk Bromberg 6.166 Ansiedler auf 442.536 Morgen. Von denen waren im Jahre 1926 noch 2.938 Ansiedlungen mit 182.001 Morgen besetzt. Die meisten Ansiedlungen im Reg.-Bezirk Bromberg waren im Jahre 1914 im Kreise Wongrowitz mit 1.272. Im Jahre 1926 gab es nur noch 801 Ansiedler mit 53.377,5 Morgen.

 Die größeren Veränderungen gab es in der Provinz Posen. Im Jahre 1914 waren es 8.206 Ansiedlungen auf 652.227 Morgen. Im Jahr 1926 nur noch 3.538 mit 227.840 Morgen. Die meisten Ansiedlungen im Reg.-Bezirk Posen erfolgten im Kreise Gnesen mit 1.254 Stellen auf 86.773 Morgen. Im Jahre 1926 waren es noch 704 Ansiedlungen auf 45.839 Morgen – somit 550 weniger.

Doch die Ansiedler gingen nicht immer freiwillig vom Hof. Die Betriebe, deren Verträge vom polnischen Staat annulliert worden waren, wurden von einem polnischen Verwalter übernommen, der sehr oft auch gleich in das Haus einzog und auch Übernehmer war. Jetzt lebten 2 Familien im Haus. Nachdem der Ansiedler alles Vieh, Ackergerät und Vorräte verkauft hatte, sehr oft unter Druck und unter dem marktüblichen Preis, bekam der Ansiedler seine Auswanderungspapiere. Ein Beispiel aus dem Kreise Obornik: ein Hof von 75 Morgen wurde von einem vereidigten Taxator auf 35.011,--Zlt. taxiert. Die amtliche Schätzung lag bei 11.813,50 Zlt., abzüglich der „fällige“ Gebühren, belief sich die Auszahlung auf 7.127,01.Zlt.

Es gab auch die Möglichkeit, den Hof mit einem Polen aus dem Gebiet der späteren Grenzmark Posen-Westpreußen zu tauschen. Das war auch ein schwieriges Unterfangen, da hier Ausgleiche über den Wert der Betriebe zu verhandeln waren.

Die verbliebenen Ansiedler in den Abtretungsgebieten zahlten ihre Rente bzw. Pacht jetzt an den polnischen Staat. D.h., die AK wurde eine polnische Behörde. Große Schwierigkeiten gab es mit der Auflassung, d.h. mit der Übertragung der Grundstücke an die Ansiedler. Hier wurden erhebliche Hindernisse aufgebaut, um die Ansiedler zur Aufgabe zu bewegen. Daher konnten die meisten Grundstücke erst nach 1939 übertragen werden.

Nach Übernahme der AK im Jahre 1939 durch die deutsche Verwaltung wurden Überzahlungen  des Abtrages festgestellt, die an die Ansiedler zurückgezahlt wurden. H.E.

Fundstellen: 1.Zwanzig Jahre Ansiedlungskommission 1886 – 1906 (Jubiläumsbericht) – 2.Die deutschen Ansiedlungen in Westpreußen und Posen in den ersten zwölf Jahren in Polen (Osteuropa-Institut in Breslau) –3. Die Abwanderung der deutschen Bevölkerung aus Westpreußen und Posen 1919 – 1929 von Hermann Rauschning/Ergänzung Dr. Wolfgang Kessler – 4. mündliche Überlieferungen von G. Eckert.

Die AK hat für die Ansiedler fertige Baupläne für einen Bauernhof geliefert. Beigefügt eine Vorlage für einen 14 ha - Betrieb.- s. Fundstelle 1.

Sie betreiben Familienforschung und  Ihre Vorfahren waren Ansiedler in der Provinz Posen? Die Unterlagen der Ansiedlungskommission (AK) finden Sie zur Einsicht in Gnesen auf 400 Meter Regallänge. Sie erreichen das Archiv über http://www.poznan.ap.gov.pl/ - klicken Sie auf „Oddzial w Gnieznie“. Darüber können Sie sich anmelden. Man spricht nur polnisch evtl. englisch. Besuche im Archiv sind möglich.

Auch im „Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz“ Archivstr. 12 – 14  in 14195 Berlin (Dahlem) finden Sie unterlagen über die AK.:  gsta.pk@gsta.spk-berlin.de

 

Deutscher Geschichtsverein (DGV)

des Posener Landes e.V.

 

Bad Bevensen, 10.11.2016

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Eine Gedenktafel für D. Karl Greulich (1869-1946)

Textfeld:  Zu Ehren von Pastor D. Karl Greulich konnte am Pfarrhaus der ehemaligen evangelischen Kreuz-kirche in Posen (Poznan) eine Gedenktafel angebracht werden. Gewürdigt wird damit seine Arbeit an dieser Kirche als Pastor, Kirchenmusiker und Gründer des Posener Bachvereins. Die Finanzierung der Tafel wie auch die würdige Feierstunde hat der Deutsche Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes e.V. durch-geführt.

Den Anstoß hierzu gab Dr. Karol Górski, damals noch Doktorand der Posener Universität. Er befasste sich im Vorfeld seiner Forschungen mit dem deutschen Theologen und Kirchenmusiker D. Karl Greulich, der während der Zeit 1896-1932 an der ehem. evangelischen Kreuz-kirche in Posen, heute Ko?ció?Wszystkich?wi?tych w Poznaniu,  wirkte. Er nahm deswegen Kontakt zum DGV des Posener Landes e.V. auf und fragte nach der Möglichkeit einer Veröffentlichung seiner Arbeit an. Daraus entstand das Buchprojekt: „Leben und Werk der Posener Theologen D. Paul Blau und D. Karl Greulich“, herausgegeben von Renate Sternel-Rutz in: Beiträge zur Geschichte der Provinz Posen, Bd. 4, 2013. Hieraus entwickelte sich die Idee „Gedenktafel“, die Dr. Górski dem DGV antrug. Der Geschichtsverein griff diesen Gedanken auf  und leitete die Vorverhandlungen mit dem Pfarrer der heutigen Allerheiligenkirche, Dr. Janusz Grze?kowiak , ein.

Am 2. August 2014 war es soweit. Um 10.00 Uhr wurde der Festakt in der Kreuz-kirche mit einem Orgelspiel eingeleitet. Nach den herzlichen Begrüßungsworten des Hausherrn, des katholischen Pfarrers Dr. Grze?kowiak, folgte die Ansprache des deutschen evangelischen Pastors i.R. Günter Arndt aus Halle. Er stellte in seiner Ansprache heraus, dass D. Karl Greulich als Pastor und Kirchenmusiker an dieser Kirche Lobenswertes geleistet hat. Ferner war er es, der entscheidend an der Bearbeitung und Herausgabe des 1927 in den Posener Gemeinden neu eingeführten Posener Gesangbuches gewirkt hat und das kirchliche Musikleben in Posen und der Provinz prägte.

Nach einem gemeinsam gesprochenen „Vaterunser“ in Deutsch und Polnisch, verließen die Einweihungsgäste die Kirche, um den Weiheakt an der Tafel mit der Inschrift: „D. Karl Greulich (1869-1946) – Kirchenmusiker und evangelischer Pastor – Gründer des „Posener Bachvereins – wirkte in Posen in den Jahren 1896-1932“, vorzunehmen. Der Text ist in 3 Sprachen verfasst: Polnisch, Deutsch und Englisch. Frau Renate Sternel-Rutz und Herr Dr. Karol Górski enthüllten feierlich die Tafel.

Nach Rückkehr in die Kirche empfing uns wieder die Orgel mit ihrem gewaltigen Klang.

Der Vorsitzende des DGV, Horst Eckert, begrüßte nun die polnischen und deutschen Gäste und hob das völkerverbindende Wirken von Pastor D. Greulich, besonders auf dem musikalischen Gebiet, hervor. Er dankte der jetzigen katholischen Kirchen-gemeinde für ihr Entgegenkommen und Verständnis – vor allem Herrn Pfarrer Dr. Grzeskowiak - dem Herrn Erzbischof von Posen und dem Posener Denkmalamt für die Genehmigungen, auch dass die Gedenktafel für D. Karl Greulich in einem ökumenischen Festakt geweiht werden konnte.

Unter der Leitung des Vorsitzenden des DGV Horst Eckert war eine größere Gruppe von ehemaligen Bewohnern der Provinz Posen mit dem Bus nach Posen angereist, um an der Feier teilzunehmen und gleichzeitig eine Studienfahrt in die deutsch – polnische Geschichte durchzuführen.

Von der weit verzweigten Familie Greulich konnte der Vorsitzende  fünf Angehörige begrüßen, die zum Festakt nach Posen gekommen waren.

Zum Abschluss seiner Rede überreichte Herr Eckert Pfarrer Dr. Grze?kowiak eine Spende in Höhe von 1.000,-- € (das Ergebnis vieler kleiner Spenden) zur Wieder-instandsetzung der Greulich-Orgel. Diese Orgel hatte seinerzeit Karl Greulich als Zweitorgel einbauen lassen, in Koordination mit der historischen Orgel von 1785. Die Renovierung der Orgel wird ca. 100.000 € kosten.

Anschließend hörten wir in der Kirche zwei Vorträge. Renate Sternel-Rutz/Hamburg referierte über das Thema „Zur Geschichte der Kreuzkirche und ihre Bedeutung für die Evangelischen in Posen“, Dr. Karol Górski/Pozna? „Wer war D. Karl Greulich und seine Bedeutung für die Kirchenmusik in Posen/Pozna?”.

Diese beiden Beiträge zeigten noch einmal die Bedeutung der Kreuzkirche für die Evangelischen in Posen auf und die segensreiche Arbeit von Pastor D. Greulich für das kirchliche Leben in Posen und der Provinz.

Nach abschließenden Worten des Vorsitzenden des DGV, Horst Eckert und einem Reise- und Segensgruß durch Pfarrer Dr. Grze?kowiak, ertönte noch einmal die „Greulich-Orgel“ mit der Toccata d-moll von J.S.Bach, die ganz gewiss zum Orgel-repertoire von D. Karl Greulich gehörte. R.S.-R.

Die Fahrt wurde vom Kulturreferat für Westpreußen- Posener Land-Mittelpolen-Wolhynien und Galizien gefördert (BKM)

Lieber Leser dieses Beitrages: Wenn auch Sie eine Spende zum Erhalt der Greulich-Orgel in der Kreuzkirche leisten möchten, würden wir uns sehr freuen. Pfarrer Dr. Grzeskowiak stellte fest: „Wir wissen, dass diese Kirche ein Stück deutsche Kultur ist. Wir würden uns freuen,  wenn Sie uns dabei helfen, sie zu erhalten“.

Ihre Spende können Sie auf das Konto des DGV einzahlen.

Bankverbindung: Deutscher Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes e.V.

Sparkasse Uelzen IBAN: DE26 2585 0110 0000 0021 21 – Stichwort: Kreuzkirche -

Auf Wunsch erhalten Sie eine Spendenbescheinigung.

 

Als der Name „Hauland" auch die Gründung einer Schule einschloss
Wir blättern in 200jährigen Akten des Wollsteiner Pfarramts

Wer von uns einstigen Bewohnern des so genannten „Haulandes" in der Pro­vinz Posen die Gelegenheit hat, die alten Ortsnamen einmal Revue passieren zu lassen, stößt unwillkürlich immer wieder auf das Ortskürzel „Hld." (Hau­land). Es ist den jeweiligen Ortsnamen vor- oder nachgesetzt und enthält für die einzelnen Orte zugleich auch ein Stück Ortsgeschichte, wobei die Anfänge der Dorfgeschichte der Hauländer - und später auch ihrer städtischen Ent­wicklung - auf die Zeit um 1700 zurückgehen.

Polen hatte damals in vielen seiner Regionen, vor allem aber in seinen westli­chen Landesteilen, einen akuten Bevölkerungsmangel zu verzeichnen, des­sen tiefere Ursachen sich durch Veränderungen im Landbau, den so genann­ten Nordischen Krieg und der ihm folgenden Pest herleiteten. Ganze Landstri­che verloren damals ihre Bewohner und verwilderten zwangsläufig. Die Grundherren - hier vor allem adlige Bodenbesitzer, Kirche und Starosten - sannen auf Abhilfe, denn das Fehlen von Bauern und Handwerkern brachte für sie natürlich materielle Verluste mit sich. Da polnische Siedler nicht zur Verfü­gung standen, musste man bei den angrenzenden Nachbarn Ausschau halten: Preußen und Österreich waren diejenigen Staaten, in denen man sich für ent­sprechende Werbeaktionen am ehesten Erfolg versprechen konnte. Siedleranwerbung aber hieß, Anreize für einen Bevölkerungszuzug zu schaf­fen. Wirtschaftliche und materielle Vorteile - Privilegien - boten sich dafür an. Landzuerkennungen und wirtschaftliche Freiheiten, weniger Frondienst und religiöse Unabhängigkeit, nicht zuletzt auch die Schaffung eines eigenen Schulwesens wurden von Werbern in den Nachbarländern für Siedlungswil­lige verkündet.

.....sämtliche sind lutherisch und sprechen bloß Deutsch"

Hier und diesmal wollen wir aus einem gegebenen Anlass - nämlich der Grün­dung eines eigenen deutschen Schulwesens im so genannten „Hauland" der damaligen Provinz Posen vor rund 200 Jahren - einen Blick auf ein weithin fast vergessenes Kapitel deutschen Wirkens und deutscher Schulgeschichte unweit der Netze und Weichsel werfen. Diesen Anlass bietet uns die Auffindung eines alten Schriftstücks mit dem Datum vom 23. November 1794. Es enthält nicht mehr und nicht weniger als die Geschichte der Anfänge und der Entwick­lung der Schulverhältnisse in der Hauländergemeinde „Neu-Tuchorzer Hau­land" (später „Lindenheim"), einer Geschichte, die typisch sein dürfte für alle Hauländergemeinden im Posener Land. Die Aufbewahrung und Wiederent­deckung des vor zwei runden Jahrhunderten angelegten Aktenbündels ver­danken wir einem glücklichen Zufall.

Das erste Schriftstück unserer Aktensammlung mit dem Titel „... betreffend die Schule zu Neu-Tuchorzer Hauland" trägt das Datum vom 23. November 1794 und geht nach einer Vorbemerkung über „besondere Umstände", die zur Wahl des bis dahin in Gladen als Schulhalter und Lehrer tätig gewesenen Chri­stian Schütler geführt hätten, zunächst auf dessen besondere Eignung für das ihm angetragene Amt ein. Wir erfahren, dass man von ihm „ein gutes Zeugnis" habe. Er sei - so lesen wir es wörtlich - „in seinem Lebenswandel ordentlich, in seinem Amte pflichtmäßig und treu, im Umgang mit seinem jeden Mitglied der Gemeinde nicht zürnig." So habe man keine Bedenken getragen, „ihn zu Rufen zu uns zu kommen, und bestellen ihn, den gedachten Christian Schütler zu unserer Jugend Lehrer, in der festen Hoffnung, dass er stets treu und durch Lehre und Wandel ein rechtschaffener Mann für uns sein" werde.

Über die Pflichten, die er zu übernehmen habe, erfahren wir: 1. Von Termin Martin bis Marie Verkündigung muss täglich durch sechs Stunden Unterricht gegeben werden, 2. von Marie Verkündigung bis Pfingsten gehen die Kinder von früh um 7 Uhr bis 9 Uhr in die Schule, so dass keines ohne gegründete Ursa­che zurückbleibt, 3. von Pfingsten bis Michaelis wird der Unterricht in die Mit­tagsstunde als in welchem die Kinder frei vom Hüten sind, 4. von Michaelis bis Martin sind die Frühstunden zum Schulhalten bestimmt, 5. so ruft unser Schul­halter auch des Sonntags die Jugend zusammen, um in den heilsamen Wahr­heiten des Christentums zu unterrichten, 6. in allem aber den Rath unseres Pastors zu Wollstein annehmen und befolgen ...

Insgesamt wurde die Schule im Jahre des Anstellungsvertrages von vierzehn Knaben und zwanzig Mädchen besucht. Wichtig war in der damaligen Zeit, dass die schulpflichtigen Kinder von den einzelnen Höfen mit Ausnahme der Ferien noch zur Arbeit herangezogen wurden, da man sie bei der Feldbestel­lung benötigte. Die Schulaufsicht wurde zu preußischer Zeit von den Pastoren durchgeführt.

Die mietfreie Wohnung für den Lehrer bzw. auch seine Familie bestand gewöhnlich aus einem bis zu zwei Zimmern in der Schule; hinzu kamen Land- und Gartenzulagen für die Lehrerfamilien. Beim Lehrergehalt wurde fein unterschieden zwischen Kindern, die nur das Lesen oder daneben auch Schreiben lernten; die letzteren mussten sechs polnische Groschen zahlen. (Obwohl Neu-Tuchorz preußisch war, galt noch lange Zeit die polnische Wäh­rung.)

Bei Beerdigungen wurde die Einschränkung gemacht, dass der Lehrer nur das Singen besorgen durfte; kirchliche Amtshandlungen waren für ihn tabu. Dafür gab es den Geistlichen, der ebenfalls seine Gebührenrechnung aufmachte, da Kirchensteuer noch nicht üblich war.

Über den Religionsunterricht im einzelnen war dem Schulhalter vor allem auf­getragen, die Christenlehre aufgrund der königlichen Verordnungen zu ertei­len. Die Schulaufsicht wurde zur preußischen Zeit von den Pastoren durchge­führt; daher auch die Vorschrift, dass sie dem „Rate der Pastoren folgen" müss­ten. Wenn unsere Akte unter Punkt VIII einen „Umgang der Lehrer durch die Gemeinde" festlegt, so ist damit kein Spaziergang gemeint. In einem späteren Vertrag wird dieser Punkt für den Lehrer noch genauer definiert: „... Er darf noch Geld und Sachwerte bei den Wirten einsammeln, weil eben das festgelegte Einkommen kein Auskommen bot. Dieser Vertrag wurde mit dem Gerichtssiegel versehen und von den Angehörigen des Dorf­gerichts bestätigt. Das erinnert uns daran, dass die Hauländergründungen auch die Freiheit erhielten, die „kleine Gerichtsbarkeit" zu regeln. Die Angehö­rigen des Gerichts bildeten auch gleichzeitig den Rat der Gemeinde. Nicht zuletzt mussten auch Schreib- und Vertragsgebühren entrichtete werden. Ein Stempel - angebracht auf diesem starken, nicht gerade blütenweissem Papier - weißt einen Groschen dafür aus. 3 Jahre später hat es bereits 6 gute Gro­schen gekostet.

DIE KGL. PREUSSISCHE ANSIEDLUNGSKOMMISSION FÜR WESTPREUSEN UND POSEN (1886-1918)

Die Anfänge der Ansetzung deutscher Bauern im Gebiet der späteren Provin­zen Posen und Westpreußen reichen bis in die polnische Frühzeit zurück. Zeugen der ersten Siedlungswelle vom 13. und 14. Jahrhundert waren bis in unsere Tage im Westen des Posener Landes ein Kranz deutscher Bauerndörfer Und in Westpreußen zwischen Konitz und Tuchel die achtzehn westfälischen Dörfer der sogenannten „Koschneiderei". Der zweiten deutschen Siedlungs­periode in altpolnischer Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert gehörten die Hollän-dereien im Weichseltal und in den Niederungen der Netze, Warthe und Obra, die Hauländereien in den Urwäldern der eiszeitlichen Endmoränen und — vor­nehmlich im Netzegau — die Schulzendörfer an. Nach Besitznahme Westpreu­ßens und Posens errichteten Friedrich der Große und seine Nachfolger zur Hebung der Landeskultur vor allem in der Kaschubei, im Kulmerland, im Netze­distrikt, in Kujawien und verstreut in den übrigen Teilen des Gebietes Bauern­siedlungen, die jedoch keine wesentliche Vermehrung des Anteils der deut­schen Bevölkerung erbrachten. Mit dem Verlust der Provinz Südpreußen im Tilsiter Frieden (1807) endete die staatliche preußische Siedlung. Nach der Wiedereingliederung des posener Landes auf Grund der Bestimmungen des Wiener Kongresses (1815) wurde sie erst wieder durch das Ansiedlungsgesetz vom 26. April 1886 aufgenommen.

In den ehemals polnischen Landesteilen Preußens hatten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Agrarstruktur, die soziale Gesellschaftsschichtung, das Bil­dungswesen und das Verhältnis der deutschen und polnischen Bevölkerung zu­einander grundlegend verändert. Bei der Neuordnung der gutsherrlich-bäuerlichen Verfassung (1823 — 1850) befreiten die preußischen Behörden das polni­sche Landvolk von Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit. Mit der Schaffung eines freien national-polnischen Bauerntums — es handelte sich allein im Posener Land um über 25 000 regulierte Höfe — s wurde dem polnischen Volk in seiner Sozialgeschichte erstmalig ein bäuerlicher Mittelstand eingefügt. Die deutschen Bauern in Polen besaßen von Anbeginn ihre Privile­gien, waren also Freie. Allerdings ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­derts der bäuerliche Besitzstand durch Bauernlegen und Bauernauskauf wieder zurück, so in der Provinz Posen zwischen 1859 und 1880 um rund 8600 Höfe. Hierdurch verschob sich das Verhältnis zwischen Großgrund- und Bauernbesitz wieder zu Ungunsten des Bauernlandes. Während im Jahre 1886 in Westelbien der Boden zu 80 bis 90 v. H. in Bauernhand war, gehörten in Westpreußen 47,1 v. H. und in Posen sogar 58,3 v. H. der Bodenfläche zu Gütern über 100 ha Größe. Es verringerten sich damit Arbeits- und soziale Aufstiegsmöglichkeiten der Bevölkerung. Von der dadurch verursachten Abwanderungswelle wurden vorwiegend deutsche Menschen in die westdeutschen Industriegebiete und nach Übersee fortgeführt. Die zahlenmäßige Schwächung des Deutschtums wiederum wirkte sich in den national gemischten Ostgebieten bedrohlich aus, da das Polentum national erwacht war und in allen seinen Schichten die Loslösung vom preußischen Staat betrieb.

Das war die Lage, die nach der Gründung des Deutschen Reiches (1871) den Reichskanzler Bismarck veranlasste, die staatliche preußische Siedlungstätigkeit nach jahrzehntelanger Pause wieder aufzunehmen.

 Das Ansiedlungsgesetz

Im Gesetz waren die Aufgaben wie folgt umrissen: Stärkung des deutschen Elements gegen polonisierende Bestrebungen durch Ansiedlung. deutscher Bauern und Arbeiter auf Stellen mittleren und kleineren Umfanges auf parzel­lierten Gütern unter Errichtung neuer Gemeinden bei gleichzeitiger Ordnung der Kirchen- und Schulverhältnisse.

Die Durchführung des Gesetzes sollte also nationale, volkswirtschaftliche und soziale Ergebnisse zeitigen. Eine entscheidende Rolle wurde der politischen Seite beigemessen. In den völkisch gefährdeten Gebieten Preußens sollten die Abwanderungsverluste des deutschen Volksteiles durch Ansetzung von provinz­fremden deutschen Siedlern nicht nur ausgeglichen werden. Auf lange Sicht hoffte man, das Polentum zahlenmäßig überflügeln zu können und damit die Ansiedlungsprovinzen aus der volkspolitischen Gefahrenzone herauszuführen. An eine Beseitigung der polnischen Bevölkerung war nicht gedacht. Mit der Errichtung von geordneten und gut ausgestatteten Bauerngemeinden sollten leistungsfähige deutsche Gemeinwesen entstehen, die beitragen sollten, die Nahrungsmittellücke in der deutschen Volkswirtschaft zu schließen. Schließlich sollte das Missverhältnis zwischen Großgrundbesitz und Bauernland beseitigt und damit eine soziale Umschichtung zu Gunsten eines wirtschaftlich gesun­den Bauerntums erreicht werden.

Die Ansiedlungskommission

Unter „Ansiedlungskommission" waren in engerem Sinne die Mitglieder ge­meint (Präsident, Oberpräsidenten der Provinzen Westpreußen und Posen, Kommissare einiger Ministerien und ernannte Mitglieder), die über die An­kaufsgebiete, Ankäufe der Güter selbst, Preisgrenzen, Genehmigung der Guts­aufteilungspläne, der Bestimmungen über die Ansiedlerverträge, des Haushalts-

Voranschlages, die Feststellung des Jahresberichtes („Denkschrift" genannt) und Vorlage beim Staatsministerium "zu beraten und zu beschließen hatten. Der Präsident hatte die Verwaltung zu leiten und die Beschlüsse der „Kom­mission" auszuführen.

Das Amt des Präsidenten bekleideten in den ersten Jahren (1886—1891) der Oberpräsident der Provinz Posen, Dr. Graf v. Zedlitz und Trützschler, danach Dr. v. Wittenburg, Biomeyer und Dr. Gramsch.

Allgemein verstand man jedoch unter der „Ansiedlungskommission" die Be­hörde, die unmittelbar dem Staatsministerium unterstellt war. Das Verwaltungs­gebäude in Posen, Paulikirchstraße 10, (errichtet aus schlesischem Sandstein 1905—1908) stand auf dem Gelände des ehemaligen inneren Festungsringes in unmittelbarer Nachbarschaft der Kaiserpfalz und des Stadttheaters. Da die Aufgaben, die mit dem Ankauf der Güter begannen, über die Parzellie­rung bis zur Bildung der neuen Gemeinden in den Händen der Behörde lagen, benötigte sie für die einzelnen Sachgebiete Fachkräfte wie Verwaltungsbeamte, Landwirte und Forstsachverständige, Juristen, Volkswirte, Kulturingenieure, Landmesser, Zeichner, Baumeister, Techniker, Beamte für das Rechnungs- und Kassenwesen und schließlich Büropersonal. Insgesamt zählte die Ansiedlungsbehörde um 1912 über 600 Beamte und Angestellte.

Da sich die Kommission in Aufbau des Behördenapparates und in Durchführung der Siedlungsaufgaben auf keine Vorbilder stützen konnte, betrat sie bei ihrer Arbeit Neuland. Erfolg oder Scheitern des Ansiedlungswerkes hingen also von dem Ideenreichtum des Präsidenten und seiner leitenden Mitarbeiter, von der Zweckmäßigkeit der Grundplanung und deren praktischen Verwirklichung ab. Die Berufung in die Ansiedlungskommission bot ein fesselndes Betätigungs­feld, wie es sonst in der eingespielten staatlichen Verwaltung nur noch selten anzutreffen war.

Für den Ansiedlungsfonds waren 1886 zunächst 100 Millionen Mark bewilligt worden. Bis zum Jahre 1913 erreichte der Fonds 600 Millionen Mark. Das Siedlungsland wollte man — dem nationalpolitischen Zweck des Gesetzes entsprechend — vornehmlich aus polnischer Hand beschaffen. Da jedoch schon nach wenigen Jahren das Polentum in seiner Presse und in den politischen Organisationen die polnischen Verkäufer als Verräter an der nationalen Sache brandmarkte, verschwand das polnische Angebot seit 1905 nahezu .völlig vom Gütermarkt, so dass die Ansiedlungsbehörde in überwiegendem Maße deutschen Großgrundbesitz erwerben musste. Bis zum Jahre 1918 hat die Kommission 460 884 ha angekauft, davon aus

polnischer Hand                                126 676 ha = 27,5 v. H.

deutscher Hand                                 334 208 ha = 72,5 v. H.

 Die erworbene Landfläche verteilte sich nach einer Statistik des Jahres 1912 auf rund 720 Güter und 500 bäuerliche Grundstücke. Davon stammten etwa 2 v. H. aus Staatsdomänenbesitz, 5 v. H. aus Zwangsversteigerungen, der Hauptteil war auf dem freien Grundstücksmarkte erworben mit Ausnahme von 4 polnischen Gütern mit 1655 ha, die im Jahre 1912 unter erstmaliger Anwen­dung des sogenannten Enteignungsgesetzes des Jahres 1908 zu marktgerech­ten Bodenpreisen zwangsaufgekauft worden sind. Hierbei hat es sich um abge­wirtschaftete Betriebe gehandelt, deren Eigentümer außerhalb der Reichsgren­zen ihren Wohnsitz hatten. Von der Ankaufsfläche fielen auf Grund der Bestim­mungen des Versailler Vertrages (1919) rund 91 000 ha an den polnischen Staat. Davon waren rund 23 000 ha mit Auflassungsrechten belastet,

Der Bodenpreis je Hektar stieg von 568 Mark im Jahre 1886 auf 1821 Mark (1913). Der Gesamtdurchschnittspreis belief sich auf 1058 Mark. Für die An­käufe hat die Ansiedlungskommission an polnische Vorbesitzer rund 113 Mil­lionen Mark gezahlt, an deutsche rund 375 Millionen Mark. In dem Ansteigen der Güterpreise spiegelt sich auch die Bodenspekulation wider, die. in den Ansiedlungsprovinzen bei dem erheblichen Landbedarf sowohl von deutscher als auch von polnischer Seite für Parzellierungszwecke einen günstigen Nähr­boden gefunden hatte.

Die Tätigkeit der Ansiedlungskommission zeitigte bis 1914 — um dies vorweg­zunehmen — nicht das erstrebte Ergebnis, weil die Polen dieses durch Gegen­maßnahmen, nämlich ebenfalls durch Käufe und Parzellierungen, mehr als wett­machten. Während sich allein in der Provinz Posen von 1861 bis 1886 der pol­nische Besitz um rund 200 000 ha vermindert hatte, stieg der Landgewinn der Polen in den Jahren 1896 bis 1914 in Westpreußen und Posen um rund 181 000 ha.

Da die meisten der erworbenen Ländereien bei der Übernahme nicht siedlungs­reif waren, wurden diese zunächst für einige Jähre von Gutsverwaltern der Kommission für die Parzellierung aufbereitet. Das Bestreben ging dahin, den Ansiedlern in gutem Kulturzustand befindliche, ertragssichere Böden zu über­geben. So mussten die Vorflutverhältnisse geordnet werden; um das Land von stauender Nässe zu befreien, die Bodenverhältnisse durch gründliche Be­ackerung und Düngung verbessert, die Entwässerung von Wiesen, Sümpfen und Brüchen durchgeführt, Straßen und Wege geschaffen und befestigt und die für die Landwirtschaft ungeeigneten Flächen aufgeforstet werden. Über den Umfang der Verbesserungen geben u. a. folgende Zahlen Auskunft: An Netze, Weichsel und Obra wurden 5000 ha Sumpfland in Acker, Weide und Wiese umgewandelt, über 60 000 ha Ackerland drainiert, über 300 km Wege gepflastert bzw. chaussiert.

Den Gutsverwaltungen oblagen im Zuge der Besiedlung, den Neu-Bauern durch Spann- und Handdienste zu helfen, Baumaterialien aus gutseigenen Ziegeleien — soweit vorhanden — zu Selbstkosten zu liefern, die Beratung bei der Ver­wendung alter Gutsgebäude und beim Aufbau der neuen Höfe zu übernehmen bzw. zu vermitteln, Ratschläge beim Kauf des toten und lebenden Inventars zu erteilen, dem Ansiedler mit Einsaat versehenes Land zu übergeben, genossen­schaftliche Zusammenschlüsse zu fördern u. a. m.

Siedlungsplanung, Ansiedlerwerbung und Ansetzung Als die Ansiedlungskommission ihre Arbeit aufnahm, musste sie eine neuzeit­liche Siedlungstechnik entwickeln. Die friderizianischen und südpreußischen Methoden konnten nicht übernommen werden, da diese infolge der Verände­rungen und Entwicklungen auf sozialem, wirtschaftlichem, verkehrsmäßigem und nationalstaatlichem Gebiete überholt waren.

Es war das Verdienst der ersten Präsidenten, Graf v. Zedlitz und v. Wittenburg, neue Formen für die. Schaffung von modernen Bauerndörfern gefunden und verwirklicht zu haben.

Das Rückgrat der Ansiedlerdörfer bildeten die spannfähigen, 10-20 ha gro­ßen Höfe, die vom Ansiedler und seinen Familienmitgliedern ohne ständige Beschäftigung einer fremden Arbeitskraft bewirtschaftet werden konnten. Halb­bauern- und Arbeiterstellen waren in der Minderzahl, Restgüter Einzelfälle. Um eine lebensfähige, wirtschaftlich und kulturell gut ausgestattete Landgemeinde errichten zu können, waren Güter um 1000 ha in günstiger Verkehrslage zu

Stadt und Bahn besonders geeignet. Erwerb und Besiedlung von Nachbar­gütern war erwünscht, um möglichst ausgedehnte Ansiedlungsbezirke schaffen zu können. Bei der Aufteilung des Landes war man bemüht, die Ansiedler gleichmäßig mit Parzellen guter und magerer Böden und mit Wiesen zu beden­ken, ohne den Besitz übermäßig zu stückeln. Den aus Gutsbezirken gebildeten Landgemeinden wurden für Allgemeinzwecke Gemeinde- und Friedhofsland, ein Brunnen, Sand- und Lehmgruben zugeteilt, Spritzenhäuser, ausgerüstet mit Feuerspritzen, Wasserwagen und Löschgeräten, und Armenhäuser errichtet. Der Schulze erhielt als Zeichen seiner Würde einen Schulzenstab, eine Dorf­chronik und einen Aktenschrank. Die Landzuwendungen erreichten etwa 10 v. H. der Gesamtfläche. Aus den Erträgen konnten vielfach die Lasten der Gemeinde gedeckt werden.

In der Regel gab es in den Änsiedlungsdörfern als Pachtstellen die Krüge, die Handwerksbetriebe (Stellmacherei, Schmiede, Bäcker) und Arbeiterhäuser. Für die geistige und geistliche Versorgung erbaute die Ansiedlungskommission Schulen und Kirchen. Diese wurden ebenfalls mit Landdotationen — für Schulen etwa 2,5 ha, für Kirchen etwa 25 ha — bedacht. Die Pachtgelder flössen der Gemeindekasse bzw. der des Kirchspiels zu.

Die für die Besiedlung entwickelten Grundsätze haben sich in der Praxis be­währt und wurden auch international als musterhaft und nachahmenswert be­urteilt.

Zu Beginn der Tätigkeit war naturgemäß nicht zu übersehen, ob sich geeignete und zahlenmäßig genügend Bewerber finden würden. Da die volkspolitischen Ziele nur zu erreichen waren, wenn in die Ansiedlungsprovinzen deutsche Menschen zuwanderten, wurden die Werbungen vornehmlich innerhalb der westelbischen und süddeutschen Bauernbezirke durchgeführt. Man war be­strebt, Siedlungswillige aus bäuerlichen Familien zu gewinnen, die zu Haus aus Landmangel keine Möglichkeit hatten, Bauern zu werden. Auch Kleinbauern und Häuslern wollte man Gelegenheit zum sozialen "Aufstieg, d. h. zum Voll­bauern, geben.

Durch Vorträge in bäuerlichen Vereinigungen wurde versucht, Interesse für den Siedlungsgedanken im Osten des Reiches zu wecken, mit Werbeplakaten in den Eisenbahnen wurde die Bevölkerung auf die Siedlungstätigkeit aufmerksam ge­macht, in Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren erschienen Berichte von Journalisten und Schriftstellern, die das Ansiedlungsgebiet bereist hatten, und schließlich warben die Ansiedler selbst unwillkürlich mit Schilderungen in Brie­fen und Erzählungen von ihrem Ergehen in der neuen Heimat. Selbst im Ausland - vor allem in den deutschen Volkstumsinseln Österreich-Ungarns und Russlands - fanden sich Rückkehrwillige, die sich nach ihrer Ur­heimat sehnten.

Die ursprünglichen Zweifel mancher Stellen, keine genügende Anzahl von Be­werbern zu bekommen, erwiesen sich bereits nach wenigen Jahren als unnötig. Es meldeten sich insgesamt über 40 000 Siedlungswillige, von denen nur die Hälfte berücksichtigt werden konnte.

Dem Sinn des Gesetzes entsprechend war die Ansiedlungsbehörde nur auf eine „angemessene Schadloshaltung des Staates" bedacht. Sie war also kein Unternehmen, das Gewinne erzielen sollte. Im Mittelpunkt der Tätigkeit stand das Ziel, ein wirtschaftlich gesundes und unabhängiges Bauerntum zu schaffen. Darauf waren die Ansetzungsbedingungen ausgerichtet.

Die in achtzig von hundert Fällen vergebene Art war das R e n t e n g u t. Der Ansiedler brauchte keine Mittel für den Grund und Boden aufzubringen. Er ver­pflichtete sich vielmehr im Rentengutsvertrag, eine Dauerrente von 3 v. H. des Landwertes an die Kommission zu zahlen. Der „Anrechnungswert" des Landes wurde ohne Rücksicht auf den Ankaufspreis und die für die Bodenverbesserun­gen (Drainage u. a.) investierten Kapitalien des einzelnen Parzellierungsgutes auf Grund von sorgfältigen Bodenschätzungen festgesetzt, so dass eine gleich­mäßige Behandlung aller Ansiedler gewährleistet war. Eine Ablösung der Rente konnte der Staat erst nach 50 Jahren fordern. Die Ablösungssumme betrug in diesem Falle das Fünfundzwanzigfache einer Jahresrente. Forderte dagegen der Ansiedler die Ablösung, so musste er das Dreiunddreißigfache zahlen. Zehn v. H. der Rente konnten nur in gegenseitigem Einverständnis getilgt werden. Der Staat behielt sich das Wiederkaufsrecht bei Verkauf oder Vererbung vor. Für die Ansiedlungen galten das Anerbenrecht, die Feuer u. Hagelversicherungs­pflicht und die Wohnklausel („Residenzpflicht"). Im allgemeinen wurden dem Ansiedler drei Rentenfreijahre zur Erleichterung der Einwurzelung gewährt. An Vermögen musste der Bewerber ein Ausstattungskapital zur Errichtung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude hinterlegen, das etwa ein Drittel des Anrechnungswertes (um 10 000,- Mark) betrug. Bei Halbbauernstellen (Größe etwa 8-10 ha), bei Handwerker- und Arbeitersiedlungen (etwa 3-4 ha) war der Kapitalbedarf geringer. Das gleiche galt für Pachtstellen und für Krugstellen, die für zwölf Jahre vergeben wurden. Für Kleinbauern und Pächter bestand

Aussicht, in späteren Jahren aus dem Vorbehaltsland („Landrücklagen" der Kommission) die Besitzfläche zu vergrößern bzw. zu Eigentum zu übernehmen. Schließlich wurden ausnahmsweise aus wirtschaftlichen und verwaltungspoliti­schen Gründen eine Anzahl (über 20) von Restgütern bis zu einer Größe von 550 ha ausgelegt.

Dorfformen, Baustil und Ortsnamen

Die Ansiedlungskommission versuchte, den Wünschen der Ansiedler entgegen­zukommen, soweit diese zweckmäßig waren und sich mit den Vorstellungen der Behörde in Übereinstimmung bringen ließen. Es ist verständlich, dass die Siedler ihre heimatlichen Bilder von Dorf und Hof im Osten verwirklicht sehen wollten. So ist es beim Abwägen des Für und Wider zu einer gewissen Farbig­keit in den Ansiedlungsbezirken gekommen, die — von Ausnahmen abgesehen — im allgemeinen befriedigen konnte.

Der Grundriss des Dorfes richtete sich weitgehend nach den örtlichen Gegeben­heiten und den verkehrsbedingten Notwendigkeiten. Bevorzugt wurden das Dorf mit dem alten Gutskern als Mittelpunkt und den von dort sternförmig aus­gehenden Straßen und das Straßen- und Reihendorf. Den Einzelhof lehnte die Ansiedlungskommission wegen der isolierten Lage, der vielen Zugangswege und der Entfernungen ab. Bevorzugt wurden die geschlossenen Dorfanlagen mit der Kirche, der Schule, der Gastwirtschaft und den Gemeindebauten im Mittel­punkt.

Bunt zusammengewürfelt waren die Ansiedler. Zwar gab es einige überwiegend landsmannschaftlich geschlossene Gemeinden, so z. B. das Schwabendorf Korn­thal (Ustaszewo) im Kr. Znin, die westfälische Siedlung Alswede (Latalice) im Kr. Posen-Ost, doch war die Ansiedlungskommission bemüht, in den Siedlun­gen die Bewerber deutscher Stämme gemischt anzusetzen. Wie ein Mosaik deutschen Volkstums wirkt das Herkunftsbild der Ansiedler. Nach der Denk­schrift des Jahres 1913 stammten aus den Ansiedlungsprovinzen 5505, aus Ost­preußen, Pommern, Brandenburg und Schlesien 3145, aus Sachsen 1522, aus Hannover 817, aus Westfalen 1948, aus Hessen-Nassau 340, aus der Rhein­provinz 214, aus Ostfriesland, Schleswig-Holstein, Lippe, aus der Pfalz, aus Baden, Württemberg, Franken 2382, Rückwanderer aus Galizien, Slawonien, Bosnien, Südungarn, Rumänien, der Dobrudscha, Kongreßpolen, Wolhynien, aus dem Schwarzmeer-(Don-)Gebiet, vom Asowschen Meer und von der Wolga 5384 Ansiedler. Von den bis 1913 insgesamt angesetzten Familien wären 20 569 evangelisch und 668 katholisch.

Bei der Gestaltung von Haus und Hof ließ die Ansiedlungsbehörde den Neu­bauern freie Hand, wenn man vom Verbot, Häuser mit Stroh zu decken, absieht. So entstanden je nach Ursprungsland und Vermögensverhältnissen der Siedler Wohn- und Wirtschaftsgebäude verschiedener Stile, Hofanlagen unterschied­licher Typen.

Es waren anzutreffen das Westfalenhaus, dessen Hauptfensterfront der Straße zugewandt war, das freistehende aus Ziegelsteinen errichtete ostelbische Wohnhaus, das schlichte weißgetünchte und mit Pappe gedeckte Haus von Rückwanderern aus Russisch-Polen, das an Vorbilder aus den deutschen Sied­lungsgebieten Ungarns erinnernde Steinhaus mit Rundbogen, das hessische Fachwerkhaus, das villenartig anmutende und mit besonders teuren Klinkern und glasierten Dachziegeln versehene Haus, schließlich neuentwickelte Typen von Ansiedlungswohnhäusern. Bei den von der Ansiedlungskommission errichteten Kultur- und Gemeindebauten und Gebäuden der Pachtstellen bildeten Zweckmäßigkeit und Gediegenheit eine Einheit und krönten das Dorfbild.

Ehemalige Gutshäuser dienten neuen Kirchspielen als Bet- oder als Pfarrhäuser oder wurden zu Schulen oder sozialen Anstalten umgebaut.

Bei Kirchenneubauten waren der Backsteinbau im neugotischen Stil oder Bau­ten mit verputztem Haupthaus und barocker Haube und Gotteshäuser, die den ordenszeitlichen Wehrkirchen nachgebildet waren, beliebt. Ansprechend waren meist die Dorfkrüge und Handwerkerstellen, auch für die Gebäude der Pacht­siedlungen und Gemeindehäuser entwickelten die Baumeister einen beson­deren Stil.

An Hofstellen waren geschlossene und offene Anlagen, bei denen Wohnung und Stallungen unter einem Dach oder Wohnhaus und Viehställe getrennt oder durch die Futterküche verbunden, Gehöfte mit massiven oder Holzscheunen, auf

Höfen von Ansiedlern aus Bosnien auch solche ohne Scheunen vertreten.

IEine besondere Zierde der Ansiedlungsdörfer bildeten die Blumen- und Obst­gärten, die Hof- und Straßenbäume. In wenigen Jahren waren die Dörfer in Grün getaucht und schmückten die ostdeutsche Landschaft. Mehr als 600 000 Obstbäume sind in den Ansiedlungen angepflanzt worden, die aus Bäumschulen der Ansiedlungskommissionen stammten. Im Zuge der Um­wandlung von Gütern in Ansiedlungsdörfer, wurden auch die slawischen Orts­namen abgelegt und durch deutsche ersetzt Eine Studie über die neuen Orts­bezeichnungen wäre reizvoll und ergäbe aufschlussreiche Erkenntnisse über Denken und Dichten der Namensgeber. Wegen des Umfanges einer solchen Arbeit soll hier nur eine interessante Auswahl getroffen werden. Einheitliche Richtlinien oder Grundsätze sind aus den Umbenennungen nicht zu erkennen. Neben den bereits genannten gewanderten Namen Alswede und Kornthal sind Neu-Tecklenburg (Kreis Witkowo), Neu-Wiek (Kreis Berent) und Hartfeld (Kreis Mogilno) zu nennen. Den ersten Präsidenten zu Ehren wurden De.bowa La.ka (Kreis Briesen) und Gluchowo (Kreis Koschmin) in Wittenburg, Zedlitzwalde (Kreis Lissa i. P.), Neu-Zedlitz (Kreis Witkowo) benannt. Überset­zungen aus dem Polnischen liegen u. a. vor in Sokolniki = Falkenau (Kreis Gnesen), Slonskowo = Sonnenthal (Kreis Rawitsch), Dominowo = Herren-hofen (Kreis Schroda) und (zwar eine missglückte) Krolikowo (= Kaninchenau) in Königsrode (Krol = König) (Kreis Schubin). Lautliche Angleichungen erfuh­ren z. B. das für eine deutsche Zunge unaussprechliche Zajezierze (= Hinter­see') in Scherze (Kreis Wreschen), Cienszkowo in Zinsdorf (Kreis Schubin), Morakowo in Morkau (Kreis Wongrowitz), Czechy in Schechin (Kreis Gnesen), und aus Owieczki (= Schäfchen) (Kreis Gnesen) wurde von einem Dezernen­ten der Ansiedlungskommission ein Owieschön (weil es eine besonders schöne Lage hatte) gemacht. Man gab den Orten ferner nationale. Bezeichnungen, Phantasienamen, Namen, deren Stamm von Bäumen und Pflanzen abgeleitet . waren. In Westpreußen griff man auf die Ortsnamen aus der Ordenszeit zurück. Das bunte Bild der Ansiedlungs-Ortsnamen kann wohl- rückschauend, be­trachtet - als nicht befriedigend angesehen werden.

Ergebnis

Über die Ansiedlungspolitik liegen unterschiedliche Beurteilungen vor. Dass sie von den Polen bekämpft und verurteilt worden ist, verwundert nicht. Auf deut­scher Seite waren die Gegner in der Minderzahl. Bei nüchterner. Betrachtung des Ansiedlungswerkes kann man wohl nicht bestreiten, dass in drei Jahrzehn­ten mit verhältnismäßig geringen Mitteln eine Leistung vollbracht worden ist, die trotz mancher Schönheitsfehler und trotz Dezimierung und Vernichtung nach den beiden Weltkriegen in der Geschichte des Siedlungswesens beispiel­haft dasteht.

Die nachstehenden Angaben legen Zeugnis ab von einem großen Werk. Bis 1918 waren von der erworbenen Gesamtfläche (alles in runden Zahlen, von 466 700 ha aufgeteilt 403 700 ha, und zwar 309 500 ha in 21 886 Stellen (davon 19 608 Renten -, 2176 Pacht-, 102 Arbeitermietstellen) vergeben. Für öffentliche Zwecke wurden 32 200 ha verwandt, 10 000 ha für Zulagestücke zurückbehalten. Bis 1911 waren 450 Dörfer gegründet worden, in über 300 Dörfern erfolgten Zusiedlungen. Auf den Ansiedlungsstellen lebten etwa t50 000 Menschen, von denen vier Fünftel zugewandert waren.

Bis zum Jahre 1910 wurden auf Kosten der Ansiedlungskommission 47 Kirchen, 30 Bethäuser, 50 Pfarrgehöfte, 421 Schulgehöfte und 494 Gebäude für Gemein­dezwecke errichtet. Die Tätigkeit der Ansiedlungskommission veränderte weite Teile der Ansiedlungsprovinzen. Um die Stadt Posen legte sich ein Kranz blü­hender Dörfer. Die Kreise Gnesen (mit 39 v. H. Ansiedlungsfläche), Znin (mit 26,5 v. H.) Wongrowitz (mit 22 v. H.), Briesen (Westpreußen) (mit 26 v. H.j, waren mit neuen Dörfern übersät, dje Kleinstadt Janowitz war zum Mittelpunkt eines zusammenhängenden Ansiedlungsgebietes geworden (s. Bild). In Ostrowo, Krotoschin, Schmiege!, Witkowo, Tremessen, Mogilno, Schubin, Brie­sen, Gollub, Schönsee, Schwetz u. a. Städten belebten sich Handel und Wandel im Verkehr mit den sie umgebenden Ansiedlungen. In den Kreisen Wreschen, Jarotschin, Pleschen, Tuche! lagen die geschlossenen katholischen Siedlungen. Den wirtschaftlichen Aufschwung in den Siedlungsbezirken spiegeln die genos­senschaftlichen Zusammenschlüsse wider. Die Ansiedlungskommission förderte das vom Raiffeisen-Verband geführte Genossenschaftswerk. In den Ansied-lungsgemeinden wurden gegründet:

232 Spar- und Darlehnskassen,

90 Molkereigenossenschaften,

64 Brennereigenossenschaften,

90 Dränagegenossenschaften und

142 sonstige, landwirtschaftliche Genossenschaften (Ein- und Ver­kaufsvereine, Dresch-, Viehverwertungs-, Zuchtgenossen­schaften u. a.). Wohl belieferten die Ansiedlungen den Markt mit weniger Getreide. Dafür wurde die Erzeugung von Vieh, Fleisch und Milch vervielfacht. Das Werk der Ansiedlungskommission hat die bei der Errichtung gesteckten Aufgaben erfüllt. Dass es nach dem I. Weltkriege als Folge der polnischen Maß­nahmen wie Annullierungen geschlossener Verträge, Liquidation der Ansiedlungen, die in der Hand von reichsdeutschen (nach dem 1.1. 1908 ansässig geworden) Ansiedlern und durch eine willkürliche Verdrängungspolitik der polnischen Be­hörden auf 42,5 v. H. zurückgegangen und nach dem II. Weltkrieg zerstört wor­den ist, kann nicht den bäuerlichen Ansiedlern zur Last gelegt werden. Sie haben auf grünem Rasen angefangen und wirtschaftlich ausgezeichnete Höfe hinterlassen.

Die Standbilder an der Kuppel des Ansiedlungsgebäudes in Posen, unter denen ein westfälischer und ein württembergischer Bauer zu finden waren, sind ge­stürzt. Die literarischen Denkmäler von Kurt Schulz, „Kraft und Bürde" und von Wilhelm Meyer-Mölleringhof, „Heimat im Osten" (beide Leipzig 1943) jedoch werden der Nachwelt weiterhin von deutscher Arbeit im ehemals preußischen Osten berichten.