Deutscher Geschichtsverein des Posener Landes e.v.

Das 22. Geschichtsseminar des DGV 2019 in Medingen

In diesem Jahr fand das Geschichtsseminar des Deutschen Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes e.V. vom 8.2. bis 10.2.2019 im Gustav Stresemann-Institut (GSI) in Bad Bevensen, Ortsteil Medingen, statt. Es stand erneut unter dem Titel „Nachbarland Polen. Historische Entwicklung und Rückschlüsse für die Gegenwart“ und wurde von der Landeszentrale für politische Bildung gefördert.

Nach dem gemeinsamen Kaffee begrüßte der Tagungsleiter Horst Eckert die Seminarteilnehmer und führten in die diesjährige Themenauswahl ein.

Die Moderation teilte sich Horst Eckert mit seinem Sohn, Dr. Eike Eckert. Für die Organisation vor Ort waren der stellvertretende Vorsitzende, Gerd Klatt, und die Schatzmeisterin des DGV, Gudrun Backeberg, zuständig.

 

Den ersten Vortrag hielt der Stipendiat der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung, Dr. Karsten Holste, Halle a. d. Saale, „Großpolen zur Zeit der sächsisch-polnischen Union 1697 – 1763“. Die Zeit der Wettiner in Polen ist durch die Inszenierung einer „Schwarzen Legende“, die sich gegen sie richtet, historisch manipuliert. Die beiden Könige werden als negativ für Polen dargestellt und als verschwenderische Herrscher. August III. wird als dumm und desinteressiert dargestellt. Dr. Holste zeigte auf, daß der vielfach zitierte Hauptzeitzeuge auch anders gedeutet werden kann. So ist die Aussage, daß sich August III. nicht in Einzelheiten einmischte durchaus so zu werten, daß er die Richtlinien vorgab, aber nicht jedes Detail bestimmte, wie man es von einem absolutistischen Herrscher erwartet hätte.

Es waren vor allem die politischen Gegner der Wettiner, Friedrich II. von Preußen, die Zarin Katharina II. und ihr vor allem in seinen frühen Regierungsjahren umstrittenen Favoriten König Friedrich August Poniatowski, die diese „schwarze Legende“ schufen. Sie wurde zu einem populären Lebensbild, das von dem polnischen Literaten Józef Ignacy Kraszewski h. Jastrz?biec (1812-1887) benutzt wurde, bis hin zu den DDR-Filmen „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ von 1983-87.

Die Legende ist sehr langlebig und spiegelt sich selbst in wichtigen Büchern zur sächsischen Landesgeschichte wider (z. B. bei Karl-Heinz Blaschke, *1927 Sudetenland). Die leider noch nicht übersetzten Werke von Jacek Starczewski revidieren diese Legende und zeigen die Zeit der Wettiner als eine Zeit des Übergangs mit einem enormen kulturellen und ökumenischen Austausch.

 

Den zweiten Vortrag hielt die Kunsthistorikerin und Museumsleiterin der „Terra Mineralia“ in Freiberg in Sachsen, die Doktorandin Anna Dziwetzki. Sie stellte zum Thema „Bildende Künstler und die ‚Germanisierung‘ des Warthegaus von 1939 – 1945“ die ersten Ergebnisse ihrer Dissertation vor.

Der 2. Weltkrieg war als Vernichtungskrieg vor allem an der jüdischen und der polnischen Zivilbevölkerung konzipiert. Die Siedlungspolitik im Reichsgau Wartheland sah einen Bevölkerungsaustausch vor. Bis 1944 wurden 450.000 Polen ins Generalgouvernement oder als Zwangsarbeiter ins Reichsgebiet ausgesiedelt. Der Generalsiedlungsplan Ost sah die Umsiedlung von 25-30 Millionen Menschen für einen Zeitraum von etwa 30 Jahren vor. Das Wartheland sollte germanisiert werden in Bezug auf Sprache, Bezeichnungen, verbunden mit dem Verbot der polnischen Kultur, Kunstraub, -plünderung und der Ansiedlung von Reichsdeutschen und deutschen Umsiedlern aus dem Baltikum, Rußland, Bessarabien, sogar aus Südtirol.

Zum Neubeginn war auch die Schaffung einer neuen Kulturszene notwendig. Frau Dziwetzki stellte die ersten Maßnahmen hierzu vor und die hier geschaffenen Kunstwerke im Stil der Nationalsozialisten.

 

Am folgenden Tag referierte Dr. Karol Górski aus Posen (Pozna?) über das Thema „Der Alltag zwischen Deutschen und Polen während des 2. Weltkrieges im Reichsgau Wartheland an einem Beispiel aus dem Pudewitzer Lande“. Er schilderte, daß die Polen 1939 ihre Waffen, aber auch Grammophone und Fotoapparate abgeben mußten. Auch dieses Mal schilderte Górski den Verlauf einer seiner Recherchen, die eher ein Auftakt der kommenden deutsch-polnischen Versöhnung waren. Jan Wdowiak (1924-2019) aus Pomarzanowice bei Pudewitz (Pobiedziska), das im Krieg in „Adlerhorst“ umbenannt worden ist, begleitete mit sieben anderen Polen als Kutscher den Flüchtlingstreck des baltendeutschen Gutsherrn aus Adlershorst bis nach Schleswig-Holstein. Herr Wdowiak, der den Gutherren als den Beschützer seiner polnischen „Untertanen“ bezeichnete, wollte gerne noch wissen, was aus der Familie nach 1945 geworden ist.

Herr Górski hatte Glück und fand eine Familien-Internetseite des Prof. Graubner, des Enkels des damaligen Gutsherrn und damit die Familiengeschichte des Karl Graubner (1890-1965), seiner Frau Elisabeth geb. v. Gabler (1901-1997) und ihrer Nachkommen. Die Graubner besaßen das 3.500 ha große Gut Carolinenhof südlich von Reval (est. Tallin). Im Jahr 1939 mußten auch sie der Umsiedlungsaktion „Heim ins Reich“ folgen. Nach mehreren Stationen, u. a. im Dobriner Land, kamen sie nach Adlerhorst, das vorher ein tyrannischer Verwalter betreut hatte. Erst nach seiner Bewährung als Gutsverwalter wurde Graubner nach einem Jahr Besitzer von Adlerhorst. Ein gutes Geschäft war die Aktion „Heim ins Reich“ für ihn nicht. Adlerhorst umfaßte nur 500 ha Land und das Dorf etwa 100 Familien. Anders als von den NS-Herrenmenschen gedacht, setzte er sich sehr für seine Polen ein und beschützte sie, was für ihn sehr gefährlich war. Herr Wdowiak stellte ihm für seine Nachkommen daher eine Ehren-, eine „Moralerklärung“ aus, die der Familie feierlich (mit Übersetzung) überreicht bei deren Besuch in Polen 2018 wurde. Es war gut, daß der Rechercheur die Familie dazu drängte, ihren erst für 2019 geplanten Polenbesuch schon im August 2018 durchzuführen, denn zwei Wochen vor dem Seminar verstarb Herr Wdowiak am 31.1.2019.

 

Den zweiten Vortrag am Morgen „Ein Stück Provinz Posen in der Weimarer Republik. Die Provinz Posen-Westpreußen von 1922-1933“ hielt Dr. Wolfgang Kessler. Er schilderte die Entstehungsgeschichte der verwaltungstechnisch unsinnigen Provinz, die aus politischen Gründen aus den Resten der beiden preußischen Provinzen Posen und Westpreußen geformt wurden. Kirchlich entstand aus dem bei Deutschland gebliebenen Teil des Erzbistums Posen-Gnesen die Freie Prälatur Schneidemühl. Faktisch endete die selbständige Geschichte dieser Provinz im Jahr 1933. Seither stand sie unter dem Einfluß Brandenburgs. Am 1.10.1938 wurde die Provinz endgültig aufgelöst und die Grenzkreise nach den Vorschlägen von 1919, aber auch schon von 1848, auf die Nachbarprovinzen verteilt.

Nach der Mitgliederversammlung ging die Reihe der Vorträge mit dem weiteren Beitrag von Dr. Wolfgang Kessler weiter: „Erinnerung an deutsche Vergangenheit in Großpolen. Bibliotheken, Archive und Museen im Posener Land heute“. Die Ausstattung der kulturellen Einrichtungen ist sehr unterschiedlich, vor allem was die deutsche Literatur betrifft. Regionalgeschichte wird in den großen wissenschaftlichen Bibliotheken in Polen üblicherweise nicht gesammelt. Zu nennen sind hier die Posener Universitätsbibliothek, die Bibliothek der Gesellschaft der Freunde der Wissenschaft und die Raczy?ski-Bibliothek. Viele Büchereien verfügen aber über einen guten Altbestand, vor allem die schon vor dem Krieg in den deutschen Gebieten geschaffenen Einrichtungen, die oft viel älter als diejenigen in Polen waren.

Das Posener Staatsarchiv verfügt über eine sehr gute, noch aus der deutschen Kriegszeit stammende Archivverwaltung. Leider sind damals jedoch viele Archivalien bewußt oder kriegsbedingt vernichtet worden.

Bei den Ausstellungen und Sammlungen der Museen sah der Referent die Gefahr der Indoktrination in der Darstellung. Sie ist oft einseitig und das Nichterwähnen ist ein großer Faktor der Fehldarstellung. Es ist oft Strategie der Museen die Minderheiten (Juden, Deutsche, Ukrainer, Umsiedler, etc.) zu verschweigen. Diese politisch beeinflußte Darstellung ist Teil der sog. „Museumspädagogik“. Dennoch ist lobenswert zu erwähnen, daß die Museen gleichzeitig Zentren der Lokalgeschichtsschreibung sind.

Den letzten Vortrag des zweiten Seminartages „Die Revolution von 1848 in der Provinz Posen“ hielt der Referent des Vortages, Dr. Karsten Holste. Der erneute Übergang der Posener Gebiete erfolgte bereits im Vertrag von Kalisch (28.2.1813), also noch vor dem Wiener Kongreß. Der russische Zar Alexander I. sprach damals neben der Zusage, daß Preußen Danzig erhalte, im weiteren von „ein paar polnischen Dörfern“ (= Posen und Umgebung).

Dr. Holste stellte die „nicht gehaltenen Versprechen“ dar. So sollte z. B. Thorn (Toru?) zum Großherzogtum Posen kommen, doch die Preußen schlossen es der Provinz Westpreußen an. Viele dieser polnischen Enttäuschungen von vermeintlichen Versprechen, waren unterschiedlich interpretierte Aussagen in der Erklärung des Königs zum Großherzogtum Posen. Der Referent nannte diese vom Staatsminister v. Hardenberg verfaßte Erklärung als ein politisches Meisterwerk, das eines Literaturnobelpreises würdig sei. Der Minister hat darin alle wichtigen Punkte angesprochen, aber nichts wirklich versprochen. Der Streit um die Lesart dauerte bis zum Ende der Teilungszeit an.

Im Folgenden stellte er das Zerrbild von dem Aufstand von 1848 dar. Die Revolution bzw. der Aufstand war vom polnischen Bürgerstand ausgegangen und nicht vom Adel, von der Schlachta. Die Sichtweise wurde durch die deutsche Sicht verzerrt, denn die Liberalen sahen im Adel ihren Gegenspieler und nicht im eigenen Bürgertum. Es war daher möglich auch den deutschen Adel anzugreifen, wenn man den polnischen schlecht darstellte.

 

Am Sonntag folgten die Vorträge mit Bezug auf die Zeit vor einhundert Jahren. Dr. Martin Sprungala stellte das polnische Regentschaftskönigreich vor: „Die Gründung eines polnischen Staates im Jahre 1916 durch die Mittelmächte“. Um die Polen als Soldaten und Kriegsverbündete für sich zu gewinnen unterstützten die Mittelmächte (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Osmanisches Reich) die Idee eines eigenen Staates, der aber nicht unabhängig, sondern ein Vasall Deutschlands sein sollte. Die Gründung in Warschau auf ehemals russischem Teilungsgebiet am 5.11.1916 war ganz offensichtlich nicht ernsthaft gemeint. Es fehlte dem neuen Staat ein Staatsoberhaupt und ein konkret umrissenes Staatsgebiet. Bis zu seinem Ende am 11.11.1918 wurde über mögliche Staatsgrenzen, deutsche und österreichische Annexionen und mögliche Thronkandidaten heftig diskutiert. Schon im Januar 1917 fiel in Amerika eine Entscheidung, die das Ende dieses Staates einleitete, denn der US-Präsident W. Wilson forderte ein freies, selbstbestimmtes und unabhängiges Polen. Der Kriegsverlauf seit Sommer 1918 leitete dann den raschen Verfall ein.

Der Referent stellte die Ereignisse des Staatsaufbaus im Regentschaftskönigreich dar, die dann zum Übergang an das polnische Militär unter Józef Pi?sudski führte.

 

Nach dem Untergang des Regentschaftskönigreichs und dem Kriegsende folgten die Ereignisse des Großpolnischen Aufstands im preußischen Teilungsgebiet. Hierzu zählt eine historische Episode, die Dr. Karol Górski darstellte: „Der Freistaat Schwenten Kreis Bomst, nach dem 1. Weltkrieg aus deutscher und polnischer Sicht.“

Der neue polnische Machthaber in Kongreßpolen (mit Österreichisch-Polen) Pi?sudski verhielt sich abwartend, was man ihm in Posen sehr übel nahm. Er wollte Deutschland nicht provozieren, um den neuen polnischen Staat nicht zu gefährden.

In Posen brach am 27.12.1918 der Großpolnische Aufstand aus. Der Referent schilderte die Auswirkungen in dem Kreisen Grenzort Schwenten (?wi?tno) im Kreis Bomst, wo ein sehr politischer Pastor eine gute Idee entwickelte, nachdem er in der zuständigen schlesischen Garnison Glogau (G?ogów) abgewiesen wurde. Pastor Emil Hegemann rief daraufhin mit seinem Kirchspiel den „Freistaat“ basierend auf den 14 Punkten Wilsons aus. Dr. Górski stellte die von Hegemann selbst niedergeschriebenen Ereignisse dar und hinterfragte sie, basierend u. a. auf den Forschungen von Dr. Sprungala, auf ihre Historizität und stellte auch die Literatur zu diesem Thema dar, das vor Jahren Arbeitsbereich seiner Dissertation war.Dr.Spr.