Deutscher Geschichtsverein des Posener Landes e.v.

Doris Schulz

Meine Reise nach Poznań/Posen

27. Juni bis 01. Juli 2017

Der Deutsche Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes hatte für die letzten Juni-Tage dieses Jahres eine Studienfahrt nach Poznań/Posen ausgeschrieben. Die Reiseleitung hatten Frau Renate Sternel und Frau Gudrun Backeberg als Vorstandsmitglieder des DGV, und von polnischer Seite Dr. Karol Górski, Germanist. Der Vorsitzende des DGV, Herr Horst Eckert, war leider aus gesundheitlichen Gründen verhindert.

Poznań/Posen, diese Stadt beschäftigte mich, seitdem ich an einem Familienbuch des Pastors Karl Schulz der ev. Gemeinde aus Rakwitz/Rakoniewice mit seinen Vor- und Nachfahren arbeite. Pastor Karl Schulz, 1903 in Ostrowo geboren, verlebte ebenso wie seine Ehefrau Herta die frühe Kindheit und Jugend im damaligen Posen/Poznań. Beide Familien gehörten zur evangelischen Gemeinde der Kreuzkirche, der ehemaligen Hauptkirche der Evangelischen in Posen/Poznań. Diese Stadt einmal zu sehen, ihre heutige Wirklichkeit wahrzunehmen, aber vielleicht auch die Heimatanschriften meiner Schwiegereltern Schulz in Posen/Poznań und die ehemalige Kreuzkirche aufzusuchen, war ein länger gehegter Wunsch.

Das angekündigte Programm für die Fahrt in diesem Jahr war für mich besonders interessant.

Schwerpunkte waren die ehemaligen evangelischen Kirchen im heutigen Poznań, die am Ende des 19. Jahrhunderts und am Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut wurden. Selbstverständlich gehörten auch ein Bummel durch die Altstadt, der Besuch des erst 2014 eröffneten interaktiven Museums Porta Posnania, das Tor Posens am Ufer der Warthe, zwischen Dominsel und Sródka gelegen, dazu. Ein Abstecher sollte auch nach Obornik/Oborniki und nach Schlehen/Tarnowo Podgórne führen.

Kurz entschlossen und neugierig meldete ich mich zu dieser Fahrt nach Posen/Poznań an.

Ganz persönlich möchte ich folgendes Resümee nach der Fahrt für mich ziehen:

Ich bin sehr froh, diese Fahrt mitgemacht zu haben! Ich habe Reinhard Schulz, dem dritten Sohn von Herta und Karl Schulz, ausführlich von dieser Reise erzählt, sowohl von den zahlreichen Zeichen der Versöhnung zwischen Deutschen und Polen, als auch von den Dingen, die zur Vergangenheit seiner Familie gehören.

Ich fand die alten Häuser aus der Kindheit von Herta Milbradt und von Pastor Karl Schulz unzerstört in der Breslauer Straße 19/ulica Wrocławska und in der Fischerei 7 und 8/Rybaki und habe sie fotografiert. Dort lebten die beiden jeweils bis zum jungen Erwachsenenalter. Erst als sie im August 1926 heirateten und in Rakwitz/Rakonievice ihre Gemeindearbeit aufnahmen, verließen sie die Stadt.

Wir besuchten den damaligen Lebens-Mittelpunkt der beiden Familien, die heute gut restaurierte Kreuzkirche/Allerheiligen Kirche (ul. Grobla 1, 61-858 Poznań) gebaut am Ende des 18. Jahrhunderts und bestaunten die überwältigend schöne Wiederherstellung ihres baulich hochinteressanten Innenraumes. Wir standen vor der kürzlich am Pfarrhaus angebrachten Gedenktafel für Pastor und Kirchenmusiker Karl Greulich, der von 1896 bis 1932 an der Kirche wirkte, der mit seinen Bachchören die großen Passionen und Kirchenmusiken aufführte, zu denen die Besucher unabhängig von Konfession oder Nationalität aus der Stadt und der weiteren Umgebung herbeiströmten. Die Gedenktafel ehrt D. Karl Greulich in deutscher, polnischer und englischer Sprache. Dr. Karol Górski konnte uns ausführlich und lebendig von der Chorarbeit der Posener Nachtigallen, die in der Nachkriegszeit in der Kreuzkirche/Allerheiligen Kirche beheimatet waren, berichten, bei denen er selbst mitgesungen hat. Meine Schwiegermutter Herta Schulz sang vor 91 Jahren im Bachchor der Kreuzkirche, und auch im Leben meines Schwiegervaters hat Karl Greulich eine besondere Rolle gespielt und prägenden Einfluss gehabt.

Die Besichtigungen der vier neueren, ursprünglich evangelischen Kirchen, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden, haben mich sehr beeindruckt, vor allem die Erläuterungen von Frau Sternel, die zum Teil auch persönliche Erinnerungen zu den Kirchen hatte. Eine besondere nachdrückliche Begegnung für mich war Probst Marcin Więcławski in St. Matthäi/Kirche der Königin Maria, der uns Dokumente aus der Kaiserzeit zeigte, mit uns Deutsch sprach und uns die Gedenktafel von der polnischen Gemeinde in der Kirche zeigte, die anlässlich des 100jährigen Weihegedenkens 2007 als ein Zeichen der Versöhnung und der Ökumene angebracht wurde. In der Übersetzung heißt es: „Den Schwestern und Brüdern im Glauben an Jesus Christus – den Wildaer Evangelischen“.

Besonders dankbar habe ich auch andere Zeichen der Versöhnung und Verständigung zwischen den ehemaligen Deutschen und den heute dort lebenden Polen gesehen, die in der Nutzung der ehemals evangelischen Kirchen durch die katholischen Gemeinden, mit Gedenktafeln an die evangelischen Erbauer und der Wiederherstellung der ehemaligen evangelischen Friedhöfe zum Ausdruck kommen.

Besonders beeindruckt hat mich der Besuch im „Park der Erinnerung“, der aus der Restaurierung des ehemaligen evangelischen Friedhofes im Ansiedlerdorf Schlehen/Tarnowo Podgórne hervorging. Ein Gedenkstein erinnert daran. Der Deutsche Hans Turk und der Pole Kazimierz Szulc waren die beiden Menschen, die dieses Versöhnungsprojekt bereits 1996 auf den Weg brachten, das 1997 feierlich in Anwesenheit von vielen Deutschen und Polen eingeweiht wurde. Hier in Tarnowo-Podgórne erzählte Renate Sternel von familiären Spuren: Ihr Großvater Friedrich Rutz wirkte an der ehemaligen evangelischen Kirche, der heutigen Kirche zum allerheiligsten Herzen Jesu, und ihr Vater ist hier geboren.

Von der Begegnung mit einer hochbetagten Reiseteilnehmerin aus Hamburg möchte ich noch berichten. Sie stammt aus Rothenburg im Kr. Wollstein und sprach mich auf den Pastor Karl Schulz an. Dieser hatte mehrere Jahre neben seiner Gemeinde auch die Gemeinde Rothenburg geleitet und mit ihrem Vater als Gemeindeältestem zusammen gearbeitet. Sie erzählte mir auch von der Freundschaft ihres jüngeren Bruders, der mit dem ältesten Sohn des Pastors in der Jugend befreundet war.

Meine Reise nach Poznań brachte mir konkrete Anschauung, interessante Erkenntnisse und hat mich gute und freundliche Begegnungen erleben lassen sowohl zwischen uns Deutschen als auch mit Polen. Eine Reiseteilnehmerin während der langen Busfahrten entpuppte sich als eine mir sehr interessante und liebenswerte Sitznachbarin im Bus. Wir haben uns viele Stunden miteinander ausgetauscht.

Auch unser polnischer Reiseleiter, Dr. Karol Górski war eine mich durch sein Wissen, sein Engagement und seine lebhafte Erzählweise sympathische und tief beeindruckende Persönlichkeit. Den Veranstaltern gilt mein Dank für diese besondere Studienfahrt nach Poznań.


Fotos:

Reisegruppe, Rechte bei Renate Sternel


Kreuzkirche/Allerheiligenkirche, Rechte bei Renate SternelReisegruppe, Rechte bei Renate Sternel


Gedenktafel für D. Karl Greulich, Recht bei Doris Schulz


Gedenktafel in der Kirche St. Matthäi/Kirche der Königin Maria, Rechte bei Doris Schulz


 

 


 

Studienfahrt 2013

 

Bericht über die Studienfahrt des DGV in die ehemalige Provinz Posen vom 26.06. – 30.06.2013.

Die o.g. Studienfahrt hat der DGV geplant und durchgeführt. An der Fahrt konnte teilnehmen, wer ein Interesse an der Geschichte der ehem. Provinz Posen hatte. Also Mitglieder und auch Nichtmitglieder. Es war nicht erforderlich, familiäre Wurzeln in der ehemaligen Provinz Posen zu haben.

An der Fahrt haben 35 Personen teilgenommen, die aus 7 verschiedenen Bundesländern angereist waren.

Die Abreise wurde zentral in Bad Bevensen gestartet. Letzter Zustieg war Blumberg bei Berlin an der BAB.

Das Programm hat Frau Dr. Marlene Klatt (Historikerin), Ibbenbühren, vorbereitet, die in Posen und Kalisch entsprechende Referenten bzw. Stadtführer gegen Honorar bestellte, wo Sie nicht tätig werden durfte.

Ziel der Studienfahrt war, den Teilnehmern den Anteil der deutschen Geschichte in der ehemaligen Provinz Posen zu vermitteln.

Die Anreise nach Posen verlief zügig und ohne Staus über die neue Autobahn. Damit konnte das Programm bereits vorzeitig am Anreisetagtag beginnen. Vorgestellt wurde durch Horst Eckert die „Königliche Ansiedlungskommission und deren Verwaltungsgebäude“  hinter dem Kaiserschloß in Posen gelegen.

Die Ansiedlungskommission wurde 1889 gegründet. Ihr Auftrag war, deutsche Bauern und Handwerker  in der Provinz Posen und Westpreußen anzusiedeln. Das Verwaltungsgebäude wurde 1904 auf den Flächen des inneren Forts der Stadt angelegt, hatte rund 400 Mitarbeiter

auf  4 Etagen und als erstes Verwaltungsgebäude in Posen eine Zentralheizung. Die Außenfront besteht aus schlesischem Sandstein und den Kuppelbau zierten in Stein gehauene Siedler in ihren Landestrachten, die bereits nach 1919 entfernt wurden.

Am Donnerstag, dem 27.06., begannen die Besichtigungen lt. Programm zum „Historischen Posen“.

Die Besichtigung des „Großen Theaters“ – des ehemaligen deutschen Theaters -  konnten wir erstmalig von innen  z.K. nehmen. Die Zugänge, Vorräume, Zuschauerraum und Bühne und Technik waren sehenswert. Der Zuschauerraum strahlte eine angenehme und feierliche Atmosphäre aus. Das Theater hatte nach der Einweihung im Jahre 1910 insgesamt 1.050 Sitzplätze, die durch Einbau von zeitgemäßer Technik nach 1945 auf ca. 850 reduziertwurden.

Gebaut hat es von Prof. Littmann, einem zu damaliger Zeit bekannten Architekten. Er baute u.a. das Hoftheater in Weimar und das Schillertheater in Berlin. Bei der Einweihung im Jahre 1910 wurde die „Zauberflöte“ und im Jahre 1919 zum Abschied „Parsifal“ gespielt.

Weiter führte unserer Weg zur Besichtigung der Aula im „Collegium Minus“ – der Aula der Posener Universität. Gebaut wurde das Gebäude vor dem 1. WK als „Königliche Akademie“ zur Weiterbildung der Posener Bevölkerung. Eine Universität in Posen  lehnte der Preußische Staat ab. Erst nach 1919 richtete der neue polnische Staat dort eine Universität ein. Im Jahre 1939 folgte die deutsche  „Reichsuniversität“.

Die Architektur wie auch die Gestaltung der Aula fand allseits Anerkennung.

Die Führungen im Theater und in der Aula  hat uns Herr mgr. Karol Gorski, Doktorand der A. M. Universität in Posen vermittelt. Eine Besichtigung des ehemaligen evangelischen Vereinsheimes – jetzt Musikakademie – konnte aus Zeitgründen nicht mehr durchgeführt werden.

Die folgende amtliche „Stadtführung“ begann mit einem Besuch im „Kaiserschloß“. Hier konnten wir die historischen Räume besichtigen. Teilweise wird heute in diesen Räumen polnische Geschichte vermittelt.

Die anschließende Stadtführung durch die Tourist-Information führte über den Platz Wolnosci-früher Wilhelmsplatz – mit der Raczynski-Bibliothek, dem ehem. Kaiser-Friedrich-Museum und dem polnischen Hotel Bazar. Über den Schloßberg und vorbei an der Franziskanerkirche (ehem. Gotteshaus der deutschen Katholiken) erreichten wir das Rathaus mit seinen Ziegenböcken. Dass am Schloßberg neu errichtete Posener (polnische) Schloß entspricht leider nicht der geschichtlichen Wirklichkeit. Ein Rundgang über den Markt mit dem Denkmal der „Bamberka“, einigen Erläuterungen zum Rathaus und der Geschichte zur Stadt Posen und dem Besuch der Pfarrkirche (Jesuitenkirche)  endete der 1. Teil der Stadtführung.

Nach dem Mittagessen erlebten wir einen Rundgang durch das jüdische Viertel mit seiner ehemaligen Synagoge. Die Erläuterungen hierzu waren spärlich. Frau Dr. Klatt konnte in Abwesenheit des offiziellen Stadtführers einige Wissenslücken schließen.

Mit dem Bus erreichten wir den Posener Dom. Wir standen hier auf dem ältesten bebauten Grundstück der Stadt Posen. Im Untergeschoß des Domes konnten wir die ersten Bebauungen (Gründungen) in Augenschein nehmen.Sehenswert im Dom ist u.a. die „Goldene Kapelle“, die auch Arbeiten des Bildhauers Christian David Rauch und Planungen von Karl Friedrich Schinkel, Direktor der PreußischenOberbaudeputation, enthalten.

Waren bis zum Schluß von den Teilnehmern schon viele geschichtliche und  architektonische Eindrücke aufzunehmen, erwartete die Gruppe eine letzte Besichtigung: Die Evangelische Kreuzkirche, die älteste evangelische Kirche in Posen – heute die polnisch-kath. Allerheiligenkirche.

Zur Geschichte dieser ehemaligen deutschen evangelischen Gemeinde und Kirche trug Renate Sternel vor. Herr mgs. Karol Gorski sprach zur Musikgeschichte und seinem Förderer und größtem Dirigenten, Pastor Dr. Karl Greulich. Der äußerliche Kirchenbau ließ die Teilnehmer nach Betreten der Kirche erstaunen: ein ellipsenförmig angelegter Innenraum, zwei Orgeln und eine schlichte, aber wirkungsvolle helle cremefarbige Ausmalung des Gestühls und  leicht getönte Wände und Decken, hinterließen einen wirkungsvollen Eindruck. Auf zwei Holzemporen (je 400) und im Erdgeschoß (800) finden 1.600 Kirchenbesucher Platz. Es war ein würdiger Abschluß eines ereignisreichen Tages an einer geschichtsträchtigen deutschen Wirkungsstätte.

Der nächste Tag (28.06.) führte uns nach Kalisch – über die „Grenze“ nach „Russisch-Polen“.

Hier hatte Frau Dr. Klatt die Reiseleitung und führte durch die Geschichte.

Vorbei an Schwersenz – hier war die evangelische Gemeinde der Stadt Posen ab 1616 –1786 untergekommen, weil sie in Posen keine Baugenehmigung für das abgebrannte Gotteshaus erhielt – ging die Fahrt anschließend nach Südosten Richtung Kalisch. Der frühere Grenzübergang war Neu Skalmirschütz. Nahe bei lag das polnische Internierungslager in Szczypiorno, das im Jahre 1919 für Deutsche eingerichtet wurde, die sich im politischen Umbruch nach dem 1. Weltkrieg für den Verbleib der Provinz Posen bei Deutschland einsetzten.

Durch eine Straßenbaustelle mit großer Umleitung konnten wir nicht das SchloßGoluchow anfahren. Um im Zeitrahmen in Kalisch zu sein, fuhren wir direkt nach Kalisch und erreichten pünktlich unsere Stadtführung. Kalisch – zu Beginn des 1. Weltkrieges von deutscher Artillerie mit erheblichen Schäden versehen, machte nicht den Eindruck einer vernachlässigten Grenzstadt. Wir konnten uns von der  reichen Geschichte dieser Stadt überzeugen.

Prägend waren die kath. Kirchen (Dom-Wallfahrten), Hochschulen, Gewerbe und Bauten einer früheren Kurstadt. Zum Abschluß des Besuches wurde die Gruppe vom Bürgermeister der Stadt Empfangen. Durch die nicht bekannte Verkehrsumleitung hatten wir Zeit verloren und mußten den Besuch der Friedhöfe streichen.

Auf der Rückfahrt haben wir das Schloß Goluchow aufsuchen können, weil die Umleitung aufgehoben war. Auf diesem Schloß haben drei verschiedene polnische Adelsfamilien in den letzten Jahrhunderten gelebt, die eine wesentliche Rolle in der Geschichte Polens gespielt haben. Heute ist das Schloß ein Museum, umgeben von einem schönen Park.

Der 29. 06. war wieder der Stadt Posen vorbehalten. Wir besuchten das Fort VII – ein Restbestand der Festungsbauwerke aus dem 19. Jahrhundert. Nach 1939 hat hier die SS Versuche mit Massenvernichtungsmitteln an Menschen durchgeführt.

Ein gemeinsamer Abschluß war der Besuch im Palmengarten. Eine Glashalle wurde anläßlich der Ostdeutschen Ausstellung im Jahre 1911 im jetzigen Wilson-Park angelegt. Von dieser Ausstellung sind nur noch 3 Bauwerke erhalten: die Glashalle, eine Stabkirche und ein Lokal/Weinstube.

Der Nachmittag stand zur freien Verfügung u.a. zum Besuch von Museen und  nochmaligen Rundgängen in der Altstadt.

Mit dieser Studienfahrt ist es wieder gelungen, den Anteil der deutschen Geschichte in dieser Region den Teilnehmern näherzubringen. Um diese Geschichte aber zu begreifen, gehört auch die Berücksichtigung der polnischen Geschichte dazu.

Dem offiziellen Stadtführer ist dieser Spagat nicht gelungen.

Nicht immer ist ein Bezug auf beide Länder und die gemeinsame Geschichte möglich. Doch für die Menschen aus dieser Region ist es wichtig zu wissen, wo sie und ihre Vorfahren gelebt und gewirkt haben.

Die Studienfahrt wurde mit einem Zuschuß des Kulturreferates (BKM) für Westpreußen, Posener Land, Mittelpolen, Wolhynien und Galizien gefördert. H.E.

 

Studienfahrt 2010

Studienfahrt des DGV in die ehemalige Grenzmark Posen-Westpreußen

Die Studienfahrt des Deutschen Geschichtsverein (DGV) des Posener Landes e.V. fand in diesem Jahr 27. Juni bis 2. Juli 2010 in die ehemalige Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen statt.
Die Grenzmark wurde nach dem Versailler Friedensvertrag (1920) im Jahr 1922 aus an Deutschland verbliebenen Landesteilen gegründet. Dies war ein deutliches Zeichen dafür, daß die Weimarer Republik die neue deutsch-polnische Ostgrenze nicht anerkannte. Im Jahr 1938 löste die nationalsozialistische Reichsregierung die Grenzmark wieder auf, da man für die geplante Ostexpansion nicht daran dachte, die alten Zustände von vor 1919/20 wiederherzustellen.
Am 27.6.2010 startete die Reisegruppe mit 27 Teilnehmern von Bad Bevensen nach Polen. Die Reise ging durch das ehemalige Ostbrandenburg (das Sternberger Land), vorbei an Schwiebus (?wiebodzin) und Züllichau (Sulechów). Nördlich von Groß Schmöln überquerte die Reisegruppe die „Faule Obra“, die ehemalige Provinzgrenze von 1914 und bis 1793 ehemalige Westgrenze des Königreiches Polen. Hier befindet sich der alte Posener Weinanbauort Chwalim. Gen Norden liegt das Dorf und Gut Woynowo (Wojnowo), in dem Prinz Bernhard der Niederlande seine Jugendzeit verbrachte. In Unruhstadt (heute Kargowa) befindet sich am Rathaus eine Gedenktafel für den am 28.1.1793 gefallenen polnischen Rittmeister Wi?ckowski und sieben weitere polnische Ulanen. Dr. Sprungala berichtete hier, daß dieser „gefallene“ Rittmeister laut polnischer Quellen im Jahr 1803 Pächter auf dem Gut Kulm (Kolno, Kr. Birnbaum) war. Er hat also seinen Tod um mindestens zehn Jahre überlebt. Die heutige Gemeinde Kargowa reagierte auf diesen Hinweis von Dr. Sprungala in seinem Buch über Unruhstadt (in Kooperation mit S. Petriuk verfaßt) lediglich mit einer Tafel aus dem Jahr 2007, daß der oben genannte Kapitan Stefan Wi?ckowski in Wirklichkeit Kazimierz Wi?ckowski hieß.
Vor der ehemaligen Stadt Kopnitz (Kopanica) überschritten wir die Reichsgrenze von 1937 und verließen damit wieder die Grenzmark, um in Wollstein (Wolsztyn), unser Quartier zu erreichen. Horst Eckert führte die Gruppe anschließend durch die Stadt in die ehemalige evangelische Kirche, die nach Standardbauplänen des preußischen Staatsbaumeisters Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) errichtet worden ist. In sehr vielen Städten des Posener Landes gibt es sog. Schinkel-Kirchen, so auch in folgenden Orten, die wir besuchten: in Fraustadt (Wschowa) und Meseritz (Mi?dzyrzecz). Mit einem Kurzvortrag führte in der Wollsteiner Kirche Eckert in das Thema „Das Wirken von Schinkel in der Provinz Posen“ ein.
Den folgenden Tag bereitete Dr. Martin Sprungala durch seinen Vortrag „Die Fraustädter Region in der Südposener Geschichte“ vor. Anschließend ging es über Obra (Obra Kr. Wollstein) – vorbei am Zisterzienserkloster (1231-1833) – nach Schwenten (?wi?tno, Kr. Bomst). Dieser Ort entstand um 1680 als Pestsiedlung. Willem v. Oranien erwarb Schwenten um 1800 und ließ es neu besiedeln. Es wurde 1919 als „Freistaat Schwenten“ bekannt.
Das erste Tagesziel war das ehemalige Zisterzienserdorf Schussenze (Ciosaniec), in dessen Kirche sich Gedenktafeln für Gefallene dee 1. und 2. Weltkrieges befinden. Über Lache (?mieszkowo, Kr. Fraustadt) und das schlesische Schlawa ging es weiter nach Fraustadt, wo uns mgr Marta Ma?kus, Mitarbeiterin am Fraustädter Museum, herzlich begrüßte. Im Rathaus erwartete uns die Mitarbeiterin des Stadtförderungsbüros „Promocja“, Anna Ufniak, die uns auf Englisch begrüßte und uns in den Ratssitzungsraum geleitete, wo uns der Stadtsekretär Zbigniew Semeniuk in Vertretung des verhinderten Bürgermeisters Krzysztof Grabka, willkommen hieß. In seiner Ansprache stellte er seine Gemeinde vor und überreichte jedem Teilnehmer persönlich einige Informationsschriften über Fraustadt/ Wschowa.
Anschließend führte Dr. Sprungala durch die Stadt, in die katholische Kirche, die u.a. von dem Italo-Schweizer Pompeo Ferrari erbaut wurde, in die evangelische Kirche von 1604, das „Kripplein Christi“, weiterhin in das spätmittelalterliche Bernhardinerkloster. Nach dem Mittagessen im neu gebauten Schloßhotel führte Marta Ma?kus uns über den beeindruckenden Altstädtischen Friedhof, das heutige Lapidarium. Dieser 1609 errichtete Campo-Friedhof (= außerhalb der Stadt gelegen) ist der älteste Polens mit weitestgehend deutschen Gräbern, bzw. Grabsteinen.
Nach dem Besuch Fraustadts ging es nach Röhrsdorf (Osowa Sie?), der Heimat der Schriftstellerin Leonie Ossowski (Autorin der Trilogie: „Weichselkirschen“, „Wolfsbeeren“ und „Holunderzeit“), wo uns Frau Gudrun Backeberg zur Biographie der Schriftstellerin einige Ausführungen machte.
Am Lager Grune (Gronowo) berichtete uns der Mitreisende Herr Reinhard Bohr über seine Zeit in diesem Lager.
Der nächste Halt führte uns nach Wolfskirch (Wilkowice, Kr. Lissa). Der aus Mauche (Mochy, Kr. Wollstein) stammende kath. Pastor Alfred Wittke begrüßte uns in der ehemaligen ev. Kirche und berichtete über die Geschichte dieser Kirche und Konfirmandenanstalt für die ev. Diaspora der Provinz Posen.
Über Priment (Przem?t), wo sich ein weiteres Zisterzienserkloster befand, und Wroniawy, dem Gut des jüdischen Bankiers Baron v. Goldschmidt-Rothschild, ging es zurück nach Wollstein.
Am 2. Tag der Reise referierte Dr. Sprungala über „Das Kloster Paradies an der brandenburgisch-polnischen Grenze und seine Bedeutung für die Christianisierung in der Region und Westpolen“ und über „Die Geschichte des Westposener Kreises Meseritz“. Im Anschluß daran fuhren wir über Bomst (Babimost) zum Kloster Paradies, wo uns ein junger Priester führte.
Nachmittags erfolgte eine Besichtigung des Ostwalls bei Kalau (Kalawa, Kr. Meseritz) mit Führung durch die 56 m tiefen Anlagen. Neben seiner gewaltigen Ausmaße beeindruckte die Besucher vor allem der Temperaturunterschied. Während wir oben bei über 30° C schwitzten, trafen wir unten nur 8° C an.
Den Abschluß des Tages bildete ein kleiner Stadtrundgang durch Meseritz mit der Besichtigung der dortigen Schinkelkirche. Leider fanden wir keinen Einlaß in die Kirche.
Am 3. Tag (30.6.2010) fuhren wir nach Schwerin a. d. Warthe (Skwierzyna). Herr Jacek Jeremicz trug uns die tragische Zerstörung der Stadt durch die Russen nach 1945 plastisch vor Augen, die Geschichte der Flucht und Ausweisung der Deutschen Bevölkerung und zeigte bei der Besichtigung vor Ort, welche Auswirkung dieser Bruch in der Stadtgeschichte hat.
Danach ging es über Birnbaum (Mi?dzychód) weiter zum ehemaligen Posener Landgestüt nach Zirke (Sieraków, Kr. Birnbaum). Hier konnten wir die Stallungen besichtigen und bekamen die vier verschiedenen Pferderassen präsentiert, die hier noch gezüchtet werden. Anschließend folgte eine Kutschfahrt entlang der Warthe. Über Kwiltsch (Kwilcz, Kr. Birnbaum), Neustadt b. Pinne (Lwówek, Kr. Neutomischel) und Neutomischel (Nowy Tomy?l) ging es zurück ins Hotel.
Am 1.7.2010 referierte Oberstudienrat Wilfried Gerke über die „Verkehrserschließung der Provinz Posen durch die Eisenbahn“ und über die „Grenzschutzkämpfe 1919“. Der Mitarbeiter des Landratsamts Wojtek Lis führte uns anschließend durch das Bahnbetriebswerk Wollstein. Danach standen ein Besuch des Wochenmarkts und nachmittags die Besichtigung der ehemaligen Grenzbahnhöfe Zb?szy? (Polen, = Bentschen) und Neu Bentschen (Deutsches Reich, heute Zb?szynek) an. Den Abschluß der Fahrt bildete ein Besuch der alten Holzkirche in Klastawe (Chlastawa, Kr. Meseritz).
Mit vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen versehen fuhren wir am 2.7.2010 über Meseritz, Schwerin und Küstrin (Kostrzyn, Ostbrandenburg) zurück nach Deutschland.
Diese Fahrt wurde gefördert vom „Kulturreferat für Westpreußen und Posener Land“ beim BKM mit Sitz in Münster.
Für die Ausarbeitung und Leitung der Studienfahrt waren Gudrun Backeberg und Horst Eckert verantwortlich. Dr. Sprungala